„Ihre Lebensgeschichte ist die Geschichte gelebter Solidarität“

Jahrestreffen des Interdoms am 9.9.2012

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Genossen!

Es ist mir eine große Ehre und Freude , heute zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Ich möchte Sie herzlich in Berlin begrüßen und freue mich jetzt schon auf unsere Begegnung im Bundestag.

Ich habe gelesen, dass Georgi Dimitroff folgendes an die Kinder in Iwanowo schrieb:

„Vergeßt niemals, dass ihr eine Verpflichtung auch gegenüber jenen Ländern habt, aus denen ihr ins Land des Sozialismus gekommen seid. Löst euch nicht von eurem Volk, vergeßt nicht eure Muttersprache.  Nehmt alles auf, was euch von Nutzen sein kann, um den Feind in eurem Geburtsland zu zerschmettern. Bereitet euch schon jetzt allseitig darauf vor, damit ihr in Ehren eure Pflicht erfüllen könnt, wenn es die Stunde erfordert.“

Hohe, fast ein bisschen beängstigende Ansprüche sind da formuliert worden.

Aber Sie haben in Ihrem Leben bewiesen, dass Sie diesen Ansprüchen – jeder auf seine Art – gerecht geworden sind.

Etwas anderes hätte Dimitroff Ihnen auch mit auf den Weg geben können, denn auch das haben Sie erfüllt:

„Egal, wo Ihr seid, lasst den Kontakt untereinander nicht abreißen. Verfolgt Eure Lebenswege und unterstützt Euch gegenseitig.“

Ich bin sehr beeindruckt, dass Sie nach so vielen Jahren noch untereinander Kontakt halten und sich regelmäßig treffen.

Das ist nicht selbstverständlich.

Und jedes dieser Treffen setzt eine große Leistung an Vorbereitung voraus.

Dazu möchte ich den Organisatoren dieses Treffens gratulieren.

Welche Gedanken und welche Wünsche verbinde ich mit Ihrem Treffen?

Internationale Solidarität hat auch in Deutschland eine lange Tradition. Sie wird von den deutschen Linken bewahrt.

Die MOPR-Kinderheime waren Ergebnis von konkreter Solidarität einfacher Menschen.

Ich wünsche mir, dass die Arbeit der 1922 gegründeten Roten Hilfe wesentlich bekannter wird, als sie es ist.

Darum bitte ich Sie, erzählen Sie überall Ihre persönliche Lebensgeschichte.

Wie Sie vielleicht wissen, befindet sich das 1925 gegründete ehemalige Kinderheim in Elgersburg (Thüringen) im Eigentum der Partei DIE LINKE.

Heute ist darin ein Hotel.

Aber auch in meiner Partei wissen nicht alle, welche Geschichte dieses Haus hat.

Darum empfehle immer wieder das  Buch „Heim in idyllischer Lage“ von Gerd Kaiser – Vom Kinderheim der roten Hilfe in Elgersburg zum Hotel am Wald, 2010 erschienen.

Auch wir sind in der Pflicht, diese Geschichten zu wahren und weiter zu geben.

Ihre Lebensgeschichte ist die Geschichte gelebter Solidarität.

Arbeiter aus aller Welt – besonders aus der Sowjetunion (darunter die Textilarbeiter aus Iwanowo)haben mit ihren Spenden dafür gesorgt, dass Kinder, deren Eltern in den verschiedensten Ländern für Freiheit und Gerechtigkeit kämpften, gemeinsam aufwachsen können.

Viele damals geschlossene Freundschaften haben ein Leben lang über viele Ländergrenzen hinweg gehalten. 

 

Wir führen als Linke das Wort Solidarität häufig im Munde.

Ich denke, es ist wichtig, sich darüber klar zu werden, was man eigentlich damit meint. Was ist an Solidarität global, was sind solidarische Systeme, wie kann jeder persönlich Solidarität üben? Die Schere zwischen arm und reich geht in der Welt immer weiter auseinander.

Viele, die das stört, fühlen sich hilflos und fragen, sich, ob sie überhaupt etwas tun können?

Kann man etwas dagegen tun, dass die Deutsche Bank mit Nahrungsmitteln spekuliert und so am Hunger in der Welt verdient?

Ja, man kann dafür kämpfen, dass Spekulationen mit Nahrungsmitteln verboten werden.

Es ist auch möglich, Menschen in anderen Ländern  sofort konkret zu helfen – so wie damals die Arbeiter aus Iwanowo den Kindern des Internationalen Kinderheims konkret geholfen haben.

Ich bin immer wieder beeindruckt, wenn Menschen zu runden Geburtstagen sagen: Ich möchte keine Geschenke. Ich sammle für Cuba si! oder für Brunnen in Kambodscha.

Schön wäre es auch, wenn Kinder auch heute in der Schule etwas  über Solidarität lernen könnten.

Leider ist das nicht in jeder Schule der Fall, aber es gibt viele beeindruckende Beispiele.

Ich möchte nur zwei aus meinem Berliner Wahlkreis erwähnen.

Die Alexander-Puschkin-Schule unterstützt seit vielen Jahren Partner in Maputo, in Mosambik.

Die Gutenberg-Schule aus der Sandinostraße hilft Kindern, die an den Folgen des Unglücks von Tschernobyl leiden.

 

Solidarität zu üben verlangt aber immer auch einen klaren Kopf.

Wie wichtig dieser klare Kopf ist, merken wir bei der Diskussion um Griechenland.

In vielen Zeitungen in Deutschland können die Menschen lesen, dass die Griechen schuld an ihrer Lage seien. Sie arbeiteten eben nicht so fleißig wie die Deutschen.

Wenn die Menschen so etwas jeden Tag in der Zeitung lesen, geht das nicht spurlos an ihnen vorbei.

 

Darum ist es mir besonders wichtig, dass wir mit den Menschen in Griechenland solidarisch sind.

Mein Team und ich haben für vier Wochen ein junge Griechin eingeladen, die uns authentisch darüber berichten kann, welche Auswirkungen die Krise auf den Alltag der normalen Menschen hat.

Wir waren zusammen in Schulen und Versammlungen, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

Das ist für mich ein Mosaiksteinchen praktischer Solidarität.

 

 

Sie alle stammen aus antifaschistischen Familien oder Familien, die für die Freiheit ihrer Völker gekämpft haben..

Ich glaube, uns beschäftigt, dass in vielen Ländern Europas Faschismus  und Unterdrückung wieder ein drängendes, ein aktuelles Problem ist.

Ich denke an Ungarn, an Russland, an Griechenland, aber auch an Deutschland.

Viele Jahre konnte durch Deutschland eine Terrorzelle ziehen und Menschen ermorden. Noch ist nicht vollständig aufgeklärt, welche Rolle der Verfassungsschutz, der deutsche Inlandsgeheimdienst,  dabei spielte.

Immer neue Verstrickungen werden bekannt.

Viele Menschen fragen sich, wie ernst die Empörung der regierenden Politiker zu nehmen ist.

 

Erinnern wir uns: 1992 hatte nach den Anschlägen -  vor allem auf Vietnamesen - in Rostock-Lichtenhagen der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker gemeinsam mit den Fraktionsvorsitzenden aus dem Berliner Abgeordnetenhaus – ich war damals Vorsitzende der PDS-Fraktion – zu einer großen Demonstration in Berlin aufgerufen. Neben dem Bundespräsidenten nahmen die damalige Regierung und die Ministerpräsidenten der Länder teil. So etwas hat es seitdem nicht mehr gegeben. In den vergangenen Jahren haben Mitglieder der Bundesregierung nicht mehr an Anti-Nazi-Demonstrationen teilgenommen.

 

Mir ist wichtig, Menschen in ihrem antifaschistischen Engagement zu stärken. Darum lade ich seit 8 Jahren Jugendliche zu antifaschistischen Studienreisen ein. Gerade bin ich aus Katalonien von einer Reise auf den Spuren des spanischen Bürgerkriegeszurückgekehrt.

Wie aktuell die Geschichte ist, haben wir dort gesehen. Im Lager Rivesaltes in Südfrankreich wurden nicht nur Kämpfer der spanischen Republik internierte. Das Lager gab es bis 2007. In ihm wurde Menschen ohne Papiere eingesperrt.

Im nächsten Jahr fahren wir wahrscheinlich nach Petersburg. Wenn Sie möchten, können sie unseren Verein „zivilcourage vereint“ unterstützen: durch Weitersagen, durch Spenden, durch Kontakte.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zusammenkunft mit vielen anregenden Gesprächen.

Ich darf meine Bitte wiederholen: Erzählen Sie überall die Geschichte der internationalen Solidarität, berichten Sie von Ihren Erfahrungen im sowjetischen Kinderheim, leisten Sie Ihren Beitrag gegen die allgegenwärtige Umschreibung der Geschichte.

Wie fragil die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind, darf ich an einem kleinen Beispiel illustrieren. Vor wenigen Tagen wurde das Deutschlandjahr in Russland und das Russlandjahr in Deutschland eröffnet. Aus diesem Anlass fand auf dem Berliner Gendarmenmarkt, dort, wo nach dem Befreiung vom Faschismus das legendäre Alexandrow-Ensemble aufgetreten war, ein großartiges Konzert mit über 400 Künstlern aus allen Teilen Russlands statt.

Kein hochrangiger deutscher Politiker war anwesend, deutsche Medien berichteten nicht.

In solchen Momenten wünsche ich mir immer, dass die deutschen Politiker die Inschriften der sowjetischen Soldaten im Reichstag nicht nur sehen, sondern auch lesen und verstehen.

Vielen Dank und bis zum Wiedersehen im Bundestag.