Die defekte Demokratie

Rede in der Veranstaltungsreihe "Wissenschaft und Politik" an der Ruhr-Universität Bochum am 16.5. 2012
Thema: "Herausforderungen der Demokratie im 21. Jahrhundert"

 

 

Wir leben in einer defekten Demokratie. Diesen Begriff hat Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum in Berlin in dem Artikel „Kehren die Diktaturen zurück?“ geprägt.

(WZB-Mitteilungen Heft 127, März 2010)

Ich habe mir die Begrifflichkeit der defekten Demokratie zu eigen gemacht und geprüft, ob sie für Deutschland zutrifft.

Die internationale NGO „Freedom House“ geht davon aus, dass man von einer Demokratie sprechen kann, wenn es freie, gleiche und geheime Wahlen gibt. Diese sehr weite Fassung des Begriffs der Demokratie führt dazu, dass Freedom House 1996 Schweden, Georgien, Weißrussland und Sierra Leone gleichermaßen in die Kategorie Wahl-Demokratien einordnete. Offensichtlich ist eine solch weite Fassung des Begriffs nicht sinnvoll. Es geht nicht nur um freie, gleiche und geheime Wahlen, es geht auch darum, dass der Wille der Mehrheit des Volkes politisch umgesetzt wird, bei Beachtung der Minderheitenrechte selbstverständlich.

Davon sind wir auch in unserem Land weit entfernt. Die Mehrheit in unserem Land will, dass die Finanzmärkte streng reguliert und Mindestlöhne eingeführt werden und der Krieg in Afghanistan beendet wird, um nur drei Themen zu benennen.

Warum wird dieser Mehrheitswille nicht umgesetzt?

Ich werde an drei Punkten die wesentlichen Defekte unserer Demokratie beschreiben und Schlussfolgerungen ziehen, wie wir zu einer wirklichen Volksherrschaft – nichts anderes bedeutet Demokratie ja - kommen können.

Die drei Punkte sind:

1.   Einfluss der Eigentumsverhältnisse auf die Demokratie.

2.   Einfluss der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft auf die Demokratie.

3.   Einfluss von Politik und Wissenschaft auf die Demokratie.

 

1.   Der Einfluss der Eigentumsverhältnisse auf die Demokratie.

 

Wir leben in einer Demokratie, in der es demokratiefreie Räume gibt. Wir können z.B. nicht darüber abstimmen, ob die Deutsche Bank mit Nahrungsmitteln weltweit spekuliert und damit den Hunger in der Welt verschärft und ob 200 Leopard-Panzer an das autoritäre Saudi-Arabien exportiert werden.

Warum dürfen wir darüber nicht abstimmen?

Bei diesen Entscheidungen geht es um Eigentum, das nicht der Allgemeinheit gehört, sondern den Eigentümern der Deutschen Bank und Kraus-Maffei-Wegmann.

Immer wenn wir als LINKE diese Entscheidungen kritisieren und Transparenz fordern, antwortet die Bundesregierung, dass es hier um Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen geht. Warum ist eigentlich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen einzelner Unternehmen höher zu bewerten als der Wunsch nach öffentlicher Erörterung solcher lebensbedrohlichen Entscheidungen?

Wir erleben seit mehr als 20 Jahren, dass Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur  akzeptieren, dass Marktentscheidungen eine höhere Priorität genießen als demokratische Entscheidungen.

Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus ist der Markt auf dem Vormarsch und die Demokratie auf dem Rückzug.

Die demokratiefreien Räume werden immer größer. Die Märkte durchdringen alle Lebensbereiche und werden damit zu einer Bedrohung für das ganze Gemeinwesen.

Die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre haben es nicht nur zugelassen, dass diese demokratiefreien Räume immer größer werden, sie haben auch zur Marktexpansion aktiv beigetragen.

Die herrschende Marktideologie hat dazu geführt, dass gesellschaftliches Eigentum massenhaft unter Wert verkauft wurde: Wohnungen, Krankenhäuser, Energieversorger, Schulen, Verkehrsunternehmen, Wasserunternehmen.

Die Höhe von Miet-, Wasser- und Fahrpreisen wird jetzt nach Renditeerwartungen der Eigentümer entschieden.

In den 90er Jahren konnte ich als Abgeordnete des Abgeordnetenhaus noch über die Fahrpreise in Berlin abstimmen. Heute ist das nicht mehr möglich.

Die Politiker, die die Privatisierung befördert haben, sind dieselben, die sich jetzt über Mietwucher und Heuschrecken öffentlich erregen.

Früher konnten die Volksvertreter z.B.  noch Einfluss auf die Deutsche Bahn oder die Post nehmen. Das ist mit der Teilprivatisierung fast unmöglich geworden. Wenn wir die Deutsche Bahn oder die Post dafür kritisieren, dass sie die Grundversorgung vor allem in den ländlichen Regionen nicht mehr sichern, dann bekommen wir die Antwort, dass sich nicht jeder Bahnhof oder jeder Briefkasten rechnet. Dabei muss doch jedem klar sein, dass die Gesellschaft nicht wie ein Unternehmen geführt werden kann. In einer Gesellschaft kann, nein darf sich nicht alles rechnen. Je mehr die Gesellschaft zu einem Unternehmen gemacht wird, desto mehr zerfällt die Gesellschaft in profitable und  nicht profitable Bereiche. Schauen Sie sich in Ihrer Universität um. Sie wäre keine Universität mehr, wenn nur die profitablen Bereiche überleben und die  nicht profitablen geschlossen würden.

Wir erleben jeden Tag wie Eigentumsformen und Marktmechanismen mit der Demokratie in Konflikt geraten. Es wurde nie eine gesellschaftliche Debatte darüber geführt, ob wir gesellschaftliches Eigentum massenhaft in die Hände von kommerziellen Anbietern geben wollen.

Wir wollen, dass solche Entscheidungen nicht mehr durch Parteien getroffen werden, sondern durch Volksabstimmungen. Damit könnten wir einen Defekt in unserer Demokratie beheben.  Demokratie verkommt doch zu einer leeren Hülse, wenn die Bürgerinnen und Bürger nichts mehr zu entscheiden haben. 

Die angebliche Politikverdrossenheit, die eigentlich eine Politikverweigerung ist,  hat ihre Wurzeln im Neoliberalismus. Wenn immer mehr durch wenige Marktteilnehmer  - teilweise Monopolisten - entschieden wird und immer weniger durch die Wählerinnen und Wähler, dann brauchen wir keine Wahlen mehr. Die Menschen sind nicht politikverdrossen. Sie lassen sich einfach nicht für dumm verkaufen. Wenn es nichts mehr zu entscheiden gibt, dann nehmen sie an solchen Abstimmungen einfach nicht mehr teil. Das ist doch nur konsequent.

Insbesondere bei Kommunalwahlen müssen wir feststellen, dass immer weniger Menschen an Wahlen teilnehmen.

Wenn man sich die Finanzsituation vieler Kommunen anschaut, dann ist das auch nicht verwunderlich. Der Deutsche Städtetag stellte 2011 fest, dass das Defizit der Kommunen 9,6 Mrd. Euro beträgt. Immer häufiger sind Kommunen gezwungen, sich mit kurzfristigen Kassenkrediten über Wasser zu halten. Diese Kredite haben 2011 mit einem Betrag von 42,2 Mrd. Euro einen Spitzenwert erreicht.

In der Finanzkrise wurde dieser Defekt der Demokratie besonders deutlich. In Griechenland wollte die Regierung über das Kürzungspaket der Ratingagenturen, der EU und des IWF in einem Referendum das Volk entscheiden lassen. Das Referendum fand nicht statt. Der Ministerpräsident wurde abgelöst. Ein Experte, der früher bei der Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet hat, wurde ganz ohne Wahlen ins Amt gehoben.

Vor den Wahlen in Griechenland hat die deutsche Kanzlerin  deutlich gemacht, dass die Griechen wählen dürfen, wen sie wollen, es dürfe sich aber nichts an der vorgegebenen Kürzungspolitik ändern.

Das ist ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Angela Merkel nennt es marktkonforme Demokratie. (DeutschlandRadio 1.9.2011)

Das macht überdeutlich, dass sich ihrer Meinung nach, die Demokratie an den Markt und nicht der Markt an die Demokratie anzupassen hat.

Der Bankenrettungsschirm und die Bad Banks waren ja keine Idee der Kanzlerin, sonder des damaligen Chefs der Deutschen Bank Josef Ackermann. Diese Ideen wurden 1:1 in Gesetze überführt.

DIE LINKE ist nicht gegen den Markt. Wir sind aber dagegen, dass einzelne Marktteilnehmer der Mehrheit der Gesellschaft ihren Willen aufzwingen können.

Die Finanzindustrie hat die Staaten in Geiselhaft genommen. Es ist besonders perfide, wenn die, die die Finanzkrise zu verantworten haben, jetzt nicht mehr von einer Bankenkrise, sondern von einer Staatschuldenkrise sprechen. Angeblich hätten die Bürgerinnen und Bürger über ihre Verhältnisse gelebt.

Irland und Spanien lagen vor der Finanzkrise mit ihren Staatsausgaben unter den Vorgaben der EU. Sie haben die Maastricht-Kriterien eingehalten. Erst der drohende Zusammenbruch der Banken und die dann folgende staatliche Rettung hat sie in eine schwere Schuldenkrise getrieben.

Wir können uns nur aus der Geiselhaft der Finanzindustrie befreien, wenn wir ihr ganz klare Regeln auferlegen. Z.B. die ganz einfache Marktregel: Jeder haftet für sein Risiko mit seinem eigenen Vermögen. Diese urkapitalistische Regel wurde in der Finanzkrise von der herrschenden Politik außer Kraft gesetzt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich als Linke einmal die Einhaltung kapitalistischer Regeln fordern müsste.

Diese Forderung wurde nie erfüllt. Auch nach der katastrophalen Bankenkrise von 2008 wurden die Spielregeln nicht geändert. Die Gewinne werden privatisiert und die Verluste sozialisiert.

Die Folgen für die Demokratie sind noch gar nicht abschätzbar. Die demokratischen Institutionen befinden sich in einer dramatischen Vertrauenskrise.

Die teuren Bankenrettungsschirm haben bei den Menschen den Eindruck erweckt, dass diese Institutionen nicht für sie, sondern ausschließlich für die Banken tätig sind.

Der Vormarsch von rechtsextremen Parteien in Europa zeigt, dass sich immer mehr Menschen verzweifelt von der Demokratie abwenden und die Schuld für ihre Misere bei Ausländern und Obdachlosen suchen.

Da sammelt sich unglaublicher sozialer Sprengstoff an. Wenn der uns nicht allen um die Ohren fliegen soll, müssen wir eine grundlegend andere Politik in Europa machen.

Wir müssen wieder das Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen. Doch auch das reicht nicht. Wir brauchen mehr direkte Demokratie.

Wenn lebenswichtige Entscheidungen, die alle Menschen betreffen, nicht mehr von einzelnen Marktteilnehmern getroffen werden, sondern vom Volk, dann kann man von einer funktionierenden Demokratie sprechen.

Voraussetzung dafür ist, dass Wählerinnen und Wähler direkt oder indirekt darüber entscheiden können, wie sie leben wollen. Wollen sie z.B. ein Gesundheitssystem, über das der Markt regiert oder wollen sie ein solidarisches System? Wollen sie einen Arzt, der als Unternehmer denkt und handelt und den Patienten als Kunden betrachtet oder einen, der in erster Linie dem hippokratischen Eid verpflichtet ist?

Wenn wir solche grundsätzlichen Fragen zur Entscheidung stellen, dann prognostiziere ich eine Wahlbeteiligung von mindestens 80 Prozent und eine Zustimmung zur solidarischen Krankenversicherung von mindestens 70 Prozent. Und genau deshalb verhindern Minderheiten, dass solche Fragen zur Abstimmung gestellt werden.

Wir wollen, wie andere Parteien auch, die Demokratie durch mehr Beteiligungsmöglichkeiten stärken. Wir wollen aber auch – und da unterscheiden wir uns von anderen Parteien –, dass die Privatisierung von gesellschaftlichen Eigentum beendet wird und dass wir unser Eigentum zurück bekommen, das in den letzten Jahren durch neoliberale Politiker verkauft wurde. Die Energienetze z.B. gehören nicht in die Hände  von vier Stromkonzernen, sondern in öffentliche.

Aktuell will die Bundesregierung Tausende Wohnungen in Ostdeutschland an Immobilienhaie  verkaufen. DIE LINKE will das verhindern. Wir haben eine Genossenschaft gegründet und wollen zusammen mit Mieterinnen und Mietern diese Wohnungen nicht Käufern überlassen, die Wohnungen als Spekulationsobjekte betrachten.

Die Rückgewinnung des Öffentlichen ist eine Aufgabe, die sich jede und jeder zu eigen machen kann. Gerade Studierende sollte die Universität als öffentliches Eigentum verstehen und sich gegen die Kommerzialisierung der Bildung stark machen. Bildung ist ein Menschenrecht und darf nicht vom Geldbeutel abhängen.

Ich freue mich, dass – auf Initiative der Fraktion DIE LINKE in NRW die Studiengebühren abgeschafft wurden. Das war ein Sieg über die neoliberalen Bildungsprivatisierer.

Nach der NRW-Wahl stellt sich heraus, wie selbstlos wir waren. Es hat sich für uns nicht ausgezahlt, die Studiengebühren abzuschaffen, trotzdem war es richtig.

 

Wem das zu viel Kapitalismuskritik ist, dem möchte ich einen Abschnitt aus einem Parteiprogramm vorlesen:

"Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des Volks nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus folgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein " Das ist ein Auszug aus dem Ahlener Programm der CDU von 1947.

2.   Der Einfluss der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft auf die Demokratie.

Die bereits erwähnte NGO Freedom House geht davon aus, dass ein Pro-Kopf-Einkommen von 6000 Euro im Jahr gegeben sein muss, damit Demokratie überhaupt funktioniert.

Im Gegensatz zu Diktaturen, brauchen Demokratien eine gewisse materielle Grundlage, damit sie überhaupt funktionieren.

Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde und trotzdem stellen wir fest, dass sich immer weniger Menschen bei Wahlen abstimmen. Einen Grund habe ich dafür schon genannt. Wenn man keine Wahl hat, dann braucht man auch nicht wählen gehen.

Einen anderen Grund sehe ich in der zunehmenden sozialen Spaltung in unserem Land.

Das WZB in Berlin hat berechnet, dass 30 Prozent der Gesellschaft zur sogenannten Unterschicht gehören. Diese Menschen haben 900 Euro oder weniger im Monat zum Leben.

Das Leibniz-Institut für Sozialwissenschaft hat untersucht, wie sich die Klassenstrukturen in Deutschland seit den 70er Jahren verändert haben. Sie kamen zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass sich 2008 ein Drittel der Armen, immer noch als Mittelschicht verstehen. Es ist unglaublich, wie gut Armut in unserem Land versteckt wird. So gut, dass die Armen selbst nicht merken oder besser: nicht wahrhaben wollen, dass sie arm sind. Es gibt wohl kein Geheimnis, das so gut versteckt wird, wie Armut.

Welche Wirkung hat Armut auf die Demokratie?

In Hamburg wurde auch mit Unterstützung der LINKEN ein Volksentscheid zur Primarschule durchgeführt.

Ziel war es, dass die Schüler länger gemeinsam lernen.

Alle internationalen Studien zeigen, dass in Deutschland besonders früh eine soziale Auslese in der Schule vorgenommen wird. Es wäre also im Interesse gerade der sozial benachteiligten Menschen gewesen, sich für ein längeres gemeinsames Lernen auszusprechen. Im Hamburger Stadtteil Veddel lebt fast ein Drittel von Hartz IV.Das durchschnittliche Einkommen je Steuerpflichtiger liegt dort bei 17.036 Euro im Jahr. Die Wahlbeteiligung lag beim Volksbegehren bei weniger als 30 Prozent.

Im Hamburger Stadtteil Nienstedten war die Wahlbeteiligung doppelt so hoch. Dort liegt der Anteil der

Hartz IV-Empfänger bei 0,9%. Das Einkommen je Steuerpflichtigen ist fast neunmal so hoch, wie in Veddel.

(150.008 Euro im Jahr).

Die Hamburger Ober- und Mittelschicht hat sich demokratisch gegen ein längeres gemeinsames Lernen durchgesetzt. Nun könnte man sagen, dass die sogenannte Unterschicht doch selbst Schuld hat, wenn sie ihre demokratischen Möglichkeiten nicht nutzt. Ganz so einfach ist es nicht. Offensichtlich ist gute Bildung der eigenen Kinder nicht das vorrangige Problem, wenn man arm ist.

Wer arm ist und aus dieser Armut ausbrechen will, braucht viel mehr Zeit sein Leben abzusichern als Menschen mit guten Einkommen.

Je mehr sich die Gesellschaft sozial spaltet, desto häufiger werden demokratische Entscheidungen durch die Ober- und Mittelschicht getroffen. Ein Drittel der Gesellschaft wird immer mehr aus demokratischen Prozessen herausgedrängt. Damit haben sich die meisten Parteien arrangiert. Sie streben in die Mitte der Gesellschaft. DIE LINKE sieht ihre Aufgabe auch darin, das Drittel der Gesellschaft, das ganz bewusst sozial abgekoppelt wird, wieder in die demokratische Entscheidungsprozesse  einzubinden.

Wie ungerecht diese soziale Entkopplung ist, möchte ich nur an einem Beispiel erläutern.

Eine Studie von deutschen und schweizerischen Bildungsforschern kommt zu folgendem Ergebnis: „Nur etwa jede zweite Empfehlung eines Grundschullehrers zum Besuch eines Gymnasiums geht auf die tatsächliche Schülerleistung zurück. Ein Viertel der Empfehlung werde dagegen durch die Schichtzugehörigkeit beeinflusst, weil Lehrer bei gleicher Leistung Kindern aus Akademiker-Elternhäusern eher eine Gymnasiallaufbahn zutrauen als Arbeiter- und Migrantenkindern.“ (Studie der Vodafone-Stiftung; Stern, 15.12.2011)

Eine Karriere wie die Gerhard Schröders wäre heute nicht mehr möglich. Als Sohn einer alleinstehenden Putzfrau Kanzler zu werden, klingt heute nur noch wie ein Märchen.

Das Bildungsprivileg, mit dem in Deutschland schon einmal  gebrochen wurde, zieht wieder in Schulen und Universitäten ein.

Wenn wir uns also für mehr direkte Demokratie aussprechen, dann müssen wir immer im Blick behalten, dass in einer sozial gespaltenen Gesellschaft auch die direkte Demokratie nicht den Willen des ganzen Volkes wiederspiegelt.

In diesem Zusammenhang empfehle ich immer das Buch: „Gleichheit ist Glück - Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ von Richard Wilkinson und Kate Pickett.

Die beiden Autoren haben wissenschaftlich nachgewiesen, dass Gesellschaften, die solidarisch organisiert sind und in denen die gesellschaftlichen Unterschiede geringer sind, für alle besser sind. Ein sehr lesenswertes Buch.

3.   Der Einfluss von Politik und Wissenschaft auf die Demokratie.

Die herrschende politische Praxis schadet der Demokratie. Wir haben einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der fordert, Spenden von Unternehmen an Parteien zu verbieten. Es gibt viele Beispiele, wie mit Spenden politische Entscheidungen direkt beeinflusst wurden. Erinnert sei an die Mövenpickspende an die FDP. Ich nenne die FDP nur noch Mövenpickpartei.

Die FDP hatte vor der Bundestagswahl eine Spende von Mövenpick bekommen und direkt nach der Wahl durchgesetzt, dass Hotelübernachtungen nicht mehr mit 19 Prozent, sondern nur noch mit 7 Prozent versteuert werden. Da wurde Politik nicht mehr gewählt, sondern nur noch bei den Parteien bestellt und das ist wirklich kein Einzelfall.

Doch die Lobbyisten wirken nicht nur über Spenden auf die Politiker ein. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie Politiker Wünsche von Unternehmen in ihrer Amtszeit erfüllt haben und dann gut dotierte Posten in diesen Unternehmen bekamen. Ich nenne das nachgelagerte Bestechung. Ich bringe hier ein Beispiel, das nicht so bekannt ist. StS Caio Koch-Weser (SPD) war als Staatssekretär im Finanzministerium zuständig für die Kontrolle der Banken. Er wechselte in einer laufenden Legislaturperiode (2005) zur Deutschen Bank. Das ist nach § 69a des Bundesbeamtengesetz nicht zulässig. Es muss in solchen Fällen eine Karenzzeit von 5 Jahren eingehalten werden. Wir hatten in einem Antrag gefordert, dass solche Karenzzeiten nicht nur für Beamte gelten müssten, sondern auch für Kanzler und Minister. Dieser Antrag wurde abgelehnt.

Der Lobbyismus ist eine echte Gefahr für die Demokratie in unserem Land. Diese Gefahr kann man nur zurückdrängen, wenn der Lobbyismus reguliert wird und endlich Transparenz in die Beziehungen von Lobbyisten und Politikern Einzug hält. Sie können dazu beitragen, dass der Lobbyismus begrenzt wird. Wählen sie einfach nur Abgeordnete direkt, die sich nicht von Lobbyisten bezahlen lassen. Wenn Sie sich darüber genauer informieren wollen, empfehle ich Ihnen die Internetseite www.lobbycontrol.de

Lobbyismus betrifft aber nicht nur Politiker, sondern auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ich finde es nicht akzeptabel, wenn sich Experten in den Medien zu Wort melden und nicht gesagt wird, von wem sie bezahlt werden. Die Mediennutzer sind dann der Auffassung, dass der Experte nach besten Wissen und Gewissen Informationen vermittelt. Nur ein Beispiel:

Professor Dr. Bernd Raffelhüschen ist als viel zitierter und viel gesendeter Finanzwissenschaftler, Rentenexperte, Sozialexperte und als ehemaliges Mitglied der Rürup-Kommission bekannt. Weniger bekannt ist, dass Prof. Raffelhüschen Lobbyist der Arbeitgeberverbände und der Versicherungswirtschaft ist, die bekanntlich besonders gut an der Privatisierung der Rente verdienen.

Die Verantwortung der Wissenschaft in der Demokratie spielt in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle.

Ulrich Beck, der Autor des Buches: Die „Risikogesellschaft“ meinte kürzlich gegenüber der SZ: „Kein Ökonom, der die Modelle des Risikomanagements entwickelt hat, musste sich öffentlich rechtfertigen.“

Es wäre schon viel erreicht, wenn die Experten ihre Einkommensquellen immer offenlegen müssten, damit jeder weiß, ob ihn gerade ein Lobbyist oder ein Wissenschaftler die Welt erklärt.

Ich glaube, dass die Demokratiedefekte deutlich geworden sind. Sie haben etwas mit der Eigentums- und Einkommensverteilung  in unserem Land zu tun.

Wir wollen mehr direkte Demokratie. Deshalb müssen wir das gemeinschaftliche Eigentum stärken, die Spaltung der Gesellschaft überwinden und die politische Kultur so verändern, dass alle gleichberechtigt an der Demokratie teilhaben können, dann können wir von Volksherrschaft sprechen.