Reden

Wir wollen die Verhältnisse nicht nur verwalten, wir wollen sie verändern

Rede von Gesine Lötzsch auf der Hauptversammlung in Lichtenberg am 16.01.2016

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

auch ich möchte Euch zunächst alles Gute für das neue Jahr wünschen. Viele von uns haben sich ja schon am vergangenen Sonntag bei Karl und Rosa getroffen. Das ist immer ein guter Jahresauftakt. Es ist die größte regelmäßig stattfindende linke Zusammenkunft in Europa. Ja, es gibt Medien, die in jedem Jahr das Ende dieser Ehrung herbeisehnen. Ich bin davon überzeugt, dass wir gemeinsam diese Tradition fortsetzen werden.

 

Die heutige Hauptversammlung wird sich mit Berliner und Lichtenberger Themen beschäftigen, doch wir können nicht über Berlin sprechen, ohne über Weltpolitik zu sprechen.

 

Die Schlagzeilen der ersten Wochen dieses Jahres sind durch die Begriffe Krieg, Terror, Anschläge und sexuelle Übergriffe geprägt. All diese Begriffe haben etwas mit Gewalt zu tun.

Unsere Gesellschaft ist in den letzten Jahren gewalttätiger, aggressiver und weniger empathisch geworden.

Innen- und Außenpolitik lassen sich immer weniger auseinanderhalten. Noch nie waren nach dem 2. Weltkrieg die Wirkungen von Kriegen in der Welt in Deutschland so direkt in unseren Alltag zu spüren.

Goethe schrieb im Faust: „Wenn hinten, weit, in der Türkei, Die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus.“

Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Wir müssen den Berlinerinnen und Berlinern sagen, dass uns nicht Obergrenzen für Flüchtlinge helfen, sondern nur die Beendigung der Kriege!

Wenn Seehofer jeden Tag dreimal Obergrenzen für Flüchtlinge fordert, müssen wir jeden Tag entschieden die Beendigung der Kriege fordern und das Verbot von Waffenexporten! Das wäre allerdings nur ein erster Schritt.

Der Philosoph Slavoj Zizek sagte gegenüber dem „Neuen Deutschland“ am 13.1.2016: „Also ist die dringendste Aufgabe ein radikaler ökonomischer Wandel, der die Verhältnisse abschaffen sollte, die zu Flüchtlingsströmen führen.“

Nur mit Beendigung der Kriege gibt es für Flüchtlinge eine Chance, in ihrer Heimat einen neuen Anfang zu versuchen.

Der Generalsekretär der CDU fordert,  täglich 1000 Flüchtlinge abzuschieben. Dabei geht es vor allem um Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Erinnern wir uns: Während des Jugoslawienkriegs wurden etwa 650 Ortschaften beschädigt oder zerstört. Durch die massiven Luftangriffe der NATO wurden gezielt Industrieanlagen, Transport-, Telekommunikations- und Energie-Infrastruktur und auch Wohnhäuser und Kirchen zerstört.

Deutschland war an diesem Krieg unter einer SPD-Grünen-Regierung beteiligt. Heute erklären Regierungspolitiker, dass auf dem Balkan sichere Drittstaaten existieren. Es ist doch zynisch, wenn man ein Land mit Bomben zerstört und danach verkündet, dass es jetzt ein sicherer Drittstaat sei. Die vordinglichste Aufgabe ist es, den Menschen aus diesen Ländern eine wirkliche Lebensperspektive aufzuzeigen. Die Bundesregierung betrachtet aber diese Staaten nur als Auffanglager für Flüchtlinge.

DIE LINKE hat eine ganz andere Vorstellung von einem zukünftigen Europa.

1999 begann der Kosovo-Krieg. Die Kinder, die damals geboren wurden, sind heute 17 Jahre alt. So lange sie leben, beteiligt sich Deutschland an furchtbaren Kriegen. Wie soll man einem 17jährigen erklären, dass Gewalt in der Außenpolitik erlaubt ist, aber nicht auf dem Schulhof?

Krieg führt zu Verrohung von Menschen. Nicht nur in Afghanistan und Syrien, sondern auch in unserem Land.

DIE LINKE verfolgt nicht nur andere politische Ziele als CDU/CSU, SPD und Grüne, sie will ihre Ziele auch auf eine andere Art und Weise erreichen. Wir wollen Probleme nicht gewaltsam lösen, sondern würdevoll und solidarisch.

Nach der Gewalt und den sexuellen Übergriffen in Köln und anderen Städten gibt es heftige Diskussionen über Polizei, Rechtsstaat und gewaltbereite Flüchtlinge und Migranten. Darüber müssen wir diskutieren. Wir müssen aber auch klar sagen, dass der ganze Hass und die ganze Menschenverachtung, die in diesem Zusammenhang an die Oberfläche kommt, widerwärtig sind. Ohne Frage, der Rechtsstaat ist gefordert.

Übrigens: Die Konvention des Europarates gegen Gewalt gegen Frauen von Mai 2011 wurde von Deutschland immer noch nicht ratifiziert.

Eindeutig war zu wenig Polizei in Köln in der Silvesternacht im Einsatz. Aber ich bin der Auffassung, dass wir die Frage der Gewalt nicht allein der Staatsmacht überlassen dürfen. Wir müssen miteinander über Gewalt reden. Wir müssen darüber reden, wie wir Konflikte gewaltfrei lösen können. Hier sind wir, die Zivilgesellschaft, gefordert.

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

das beste Wahlprogramm nutzt nichts, wenn die Menschen, die uns beobachten, das Gefühl haben, dass wir uns genauso benehmen, wie sich alle Politiker benehmen.

Viele Nichtwählerinnen und Nichtwähler lehnen die Art und Weise, wie Politik gemacht wird grundsätzlich ab. Sie fühlen sich abgestoßen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns immer wieder gegenseitig daran erinnern, dass wir eine andere Art von Politik machen wollen. Eine Politik, die würdevoll und solidarisch ist. Leider sind auch in unserem Bezirksverband einige Auseinandersetzungen aggressiver geworden sind. Das ist keine gute Entwicklung.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die allgemeine Aggressivität auch unsere Partei erfasst. Wir sollten uns immer gegenseitig erinnern, dass uns ein gemeinsames Parteiprogramm verbindet, das unter der  Losung steht: Freiheit, Würde Solidarität!

Wir haben alle zusammen Tausende Stunden um dieses Programm gerungen. Wir haben eine gute Grundlage am Infostand und anderswo mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Mein Freund Tini Kox, Vordenker unserer Schwesterpartei SP in den Niederlanden, hat für seine Partei die Regel aufgestellt: 30% interne und 70% externe Diskussionen. Das könnten wir uns zum Vorbid nehmen.

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

Wir sind nicht die Partei, die die Verhältnisse nur verwalten will. Wir wollen sie verändern! Jeder, der heute zur Wahl antritt, sollte den Willen haben, unsere Gesellschaft verändern zu wollen. Veränderungen sind bitter nötig.

In den vergangenen Monaten haben die Genossinnen und Genossen der Personalfindungskommission und des Bezirksvorstandes sehr viel Lebenszeit in die Erarbeitung eines guten Personalvorschlags gesteckt.

Der Bezirksvorstand hatte im vergangenen Jahr eine Personalfindungskommission bestimmt.

Sie besteht aus Evrim Sommer und Michael Grunst als Bezirksvorsitzenden, Marianne Klevesath als BV-Mitglied aus Hohenschönhausen und Michael Stadler als BV-Mitglied aus Lichtenberg und mir.

Die beiden Fraktionsvorsitzenden Hendrikje Klein und Daniel Tietze wurden in die Beratungen einbezogen.

Wir haben uns aufgeteilt und mit den Mitglieder der Fraktion, mit den Stadträten, mit eventuell neuen Mitgliedern der Fraktion, mit vielen Genossinnen und Genossen, die seit Jahren aktiv im Bezirksverband sind, gesprochen.

Fast alle dieser Gespräche waren nicht nur angenehm, sondern auch sehr interessant und lehrreich.

Unsere Genossinnen und Genossen sind wesentlich aktiver als allgemein bekannt. Sie haben Projekte, Kontakte und Ideen, die wir noch besser nutzen sollten.

Das zeigt auch ein Problem. Manche haben das Gefühl, dass ihre Arbeit nicht  - oder nicht ausreichend – anerkannt wird.

Manchmal gehen wir mit dem politischen Mitbewerber –also mit den anderen Parteien – nachsichtiger um als mit den eigenen Genossen.

Das sollte uns zu denken geben. Wir müssen sorgfältiger mit den eigenen Genossen umgehen.

Jede und jeder von uns ist freiwillig in unserer Partei. Und wir sind nicht zu viele Genossinnen und Genossen, sondern zu wenige.

Ich bin schon seit vielen Jahren in verschiedenen Personalkommissionen. Die Auswahl ist nie leicht gewesen, weil wir einfach viele gute Genossinnen und Genossen haben.

Ich bin überzeugt, dass wir insgesamt einen guten Personalvorschlag erarbeitet haben.

Der Bezirksvorstand hat Evrim Sommer als Spitzenkandidatin und damit zugleich für das Amt der Bezirksbürgermeisterin vorgeschlagen. Gleichzeitig wurde Michael Grunst für Platz 2 der Bezirksliste nominiert.

Ich unterstütze beide heute und werde das auch im Wahlkampf tun.

Evrim hat in Berlin-Neukölln in der Bezirkspolitik begonnen und dort erfolgreich an einer Zählgemeinschaft unter Beteiligung der PDS gearbeitet.

Sie hat viele politische Erfahrungen im Abgeordnetenhaus und in Lichtenberg gesammelt. Sie hat ihren Wahlkreis immer direkt gewonnen. Sie kennt die Probleme der Menschen in Lichtenberg und sucht mit ihnen gemeinsam nach Lösungen.

Sie ist in der Stadt bekannt und sie hat den nötigen Kampfeswillen für eine solche große Herausforderung.

Michael hat als Bezirksvorsitzender, BVV-Verordneter, Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses – und das ist ein besonders komplizierter Ausschuss - und Stadtrat in Treptow-Köpenick viele politische Erfahrungen gesammelt. Besonders seine Verwaltungserfahrungen werden im Wahlkampf und im Bezirksamt sehr nützlich sein.

Evrim und Micha gehen unterschiedlich an die Lösung von politischen Problemen heran. Sie werden sich deshalb in der Arbeit gut ergänzen können.

Ja, es gibt und gab auch Kritik an beiden.  Wenn wir sie heute deutlich unterstützen, heißt das nicht, dass keine Kritik mehr geäußert werden darf. Mein Wunsch wäre: Die Kritik sollte dazu führen, dass wir alle gemeinsam besser werden.

Es gab auch keine Genossin und keinen Genossen, der gegenüber der Personalkommission oder dem Bezirksvorstand erklärt hätte, dass er der bessere Kandidat wäre.

 

Ich bitte Euch, liebe Genossinnen und Genossen, den Vorschlag des Bezirksvorstandes mit eurer Stimme zu unterstützen.

Wir brauchen in diesem Wahlkampf nicht nur ein gutes Spitzenteam, sondern auch die Unterstützung aller Genossinnen und Genossen. Wir müssen mit mehr Mut in die Diskussionen mit den Bürgerinnen und Bürgern gehen.

Das ist nicht immer leicht. Jeden Tag werden die Menschen durch Medien und Politiker dauerhaft mit Themen zugeschüttet. Wir müssen es wieder stärker schaffen, über unsere Themen zu sprechen, nämlich über eine solidarische und gerechte Gesellschaft, in der wir in Freiheit und Würde leben können. Dazu bietet der Wahlkampf die beste Gelegenheit, nutzen wir sie!