Reden

Solidarität ist die beste Medizin gegen Verunsicherung

Basiskonferenz zur Auswertung der Bundestagswahlen 2017

Herzlichen Dank für Euren Einsatz im Wahlkampf, liebe Genossinnen und Genossen!

Die Fraktionsklausur der Bundestagsfraktion hat leider Schatten auf unser Wahlergebnis geworfen. Das ist ausgesprochen ärgerlich.

Ich bin dafür, dass wir immer um die beste Lösung ringen. Wichtig ist, dass unsere Genossinnen und Genossen, unsere Wählerinnen und Wähler verstehen, worüber wir streiten. Das ist im Augenblick nicht gegeben. Deshalb ist dieser Streit sehr unproduktiv und erscheint als reiner Machtkampf.

Ich will es ganz klar sagen, ich teile nicht alle Auffassungen von Sahra, ich teile auch nicht alle Auffassungen von Gregor. Das finde ich auch ganz normal. Eine 100prozentige Überstimmung kann es in einer Partei gar nicht geben.

Aber: Wir müssen bei den Fakten bleiben. Wenn wir uns das Wahlergebnis anschauen, dann haben wir im Westen zugelegt und in Ostdeutschland Stimmen verloren. Die Verluste in Ostdeutschland kann man nun wirklich nicht Sahra anhängen. Was hat Sahra mit den Verlusten in Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zu tun?

SPD-LINKE-Grüne-Bündnis

Die Parteien »links von der Union« SPD, LINKE und GRÜNE verlieren gemeinsam 4,1% und erreichen nur noch 38,6% der gültigen Stimmen. In Brandenburg und Thüringen reicht es noch für kaum mehr als ein Drittel der Stimmen.

Rechtsruck

Die AfD gehört zu den eindeutigen Siegern des Wahlabends. In Sachsen wurde sie stärkste Partei und erreichte drei Direktmandate, in den anderen ostdeutschen Flächenländern reichte es für Platz 2 hinter der Union.

Der Nachfolger von MP Tillich, CDU-Generalsekretär Michael Kretschmar, der seinen Wahlkreis an einen unbekannten AfD-Politiker verloren hat, soll neuer Ministerpräsident werden. Der ehemalige MP Biedenkopf hat Tillich für die Wahlniederlage verantwortlich gemacht. Ich will aber daran erinnern, dass es Biedenkopf war, der nach der Wende mit einem strammen Rechtskurs und brutaler Abwicklungspolitik, die Grundlagen für die AfD gelegt hatte. Auch der Satz von der übermäßigen Erwerbsneigung der ostdeutschen Frauen ist nicht vergessen.

Auch in Berlin werden wir uns intensiver mit der AfD auseinandersetzen. Die AfD befindet sich nicht am Rand der Gesellschaft, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Schauen wir uns die  Berliner Bundestagsabgeordneten an: Gottfried Curio, Physiker; Birgit Malsack-Winkemann, Richterin; Götz Frömming, Gymnasiallehrer; Beatrix von Storch, Rechtsanwältin. Das sind keine abgehängten und verunsicherten Menschen. Es sind Menschen mit einer sehr rechten Weltanschauung.

Intensiver als mit der AfD werden wir uns aber mit den Problemen der Menschen beschäftigen. Natürlich haben sich in der AfD Nazis und Rassisten eingenistet, aber nicht jeder AfD-Wähler ist deshalb ein Nazi oder ein Rassist.

Ich will daran erinnern, dass die Antifaschisten, die nach 1945 nach Ostdeutschland kamen, sich natürlich einer Überzahl von ehemaligen Nazis und Mitläufern gegenübersahen.

Die Losung war schon damals nicht „Nazis raus“, sondern – wie es auf einem unserer erfolgreichsten Plakate steht - „Nazis raus aus den Köpfen“! Genau so müssen wir es heute auch handhaben.

Die Verunsicherung in der Gesellschaft ist groß. Unsere Lebenswelt ändert sich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Was gestern noch eine unumstößliche Wahrheit war, kann heute schon falsch sein. Dass diese Verunsicherung auch unsere Partei ergreift, ist doch selbstverständlich. Wir sind ein Teil der Gesellschaft.

Deshalb müssen wir unsere Theorien und unsere Programme immer wieder überprüfen, ob sie der Wirklichkeit standhalten. Wir dürfen uns nicht die Wirklichkeit schön reden oder verbiegen, nur damit unsere Theorie unbeschädigt bleibt. Das wäre verhängnisvoll. Das Leben ist immer konkret.

Wie die Wirklichkeit von Strategen anderen Parteien verbogen wird, können wir an bestimmen Wortschöpfungen erkennen. Alle reden jetzt von einer Jamaika-Koalition. Da denken die Menschen an Sonne, Strand, Cocktails und gute Laune. Ich sage, das wird eine Mitte-Rechts-Regierung. Die CSU ist eine rechte Partei. Sie hat in den vergangenen Jahren versucht, die AfD rechts zu überholen. Dafür wurde sie von ihren Wählern abgestraft. Die CSU verlor in Bayern 10,5%. Rechts von der CSU gewinnt die AfD 12,4%. Der CSU ist es auch durch einen Rechtsruck nicht gelungen, die AfD klein zu halten. Trotzdem will sie jetzt weiter die AfD rechts überholen.

Ich höre immer wieder, dass es angeblich das Rechts-Links-Koordinatensystem nicht mehr gäbe. Das halte ich für falsch. Links heißt immer noch sozial und solidarisch. Umverteilung von oben nach unten. Links heißt immer noch Friedenspolitik. Rechts heißt immer noch egoistisch, unsozial, Umverteilung von unten nach oben und Lösung von Problemen mit militärischer Gewalt. Dieses Koordinatensystem hat sich auch durch Smartphones und Facebook nicht verändert.

Ich finde auch die Bezeichnung Rot-Rot-Grün oder R2G nicht gut. Ich spreche immer von einer Mitte-Links-Regierung. Rot-Rot suggeriert, dass SPD und DIE LINKE das gleich wollen. Wenn es so wäre, können wir fusionieren, machen wir aber nicht.

Ich freue mich, dass Dietmar Bartsch und andere aus der Bundestagsfraktion jetzt auch von einer Mitte-Links-Regierung sprechen, wenn es um die Bundespolitik geht.

 

Die Medien haben den Rechtsruck befördert. Die AfD war noch nicht im Bundestag, dafür aber bei allen wichtigen TV-Runden dabei. Zur Erinnerung: Als die PDS 2002 als Fraktion aus dem Bundestag flog und nur Petra Pau und ich die linke Fahne hoch hielten, wurden wir nicht mehr in TV-Runden eingeladen. Über unsere Parteitage wurde noch sporadisch berichtet. ARD und ZDF haben aber sehr ausführlich über alle Parteitage der AfD berichtet. Sie hingen förmlich an den Lippen von Petry und Gauland.

DIE LINKE wird mit der AfD in eine Ecke gestellt. In den Talkrunden werden immer unsere Parteienvertreter mit der AfD zusammengesetzt. Dabei sind diese Parteien programmatisch Lichtjahre voneinander entfernt. Die AfD rekrutiert einen großen Teil ihres Führungspersonals aus der CDU/CSU. Alexander Gauland war von 1973 bis 2013 Mitglied der CDU. Er leitete von 1987 bis 1991 die Hessische Staatskanzlei unter Ministerpräsident Walter Wallmann.

 

Auch die Feindbilder von AfD und CDU/CSU sind ziemlich die gleichen. Die Themen kommen und gehen, die Feindbilder bleiben. Die Feindbilder werden fast immer aus der Unterschicht zusammengebaut. Damit es nicht langweilig wird, sind es mal die Ostdeutschen, die Hartz-IV-Empfänger, die Griechen oder die Flüchtlinge. Selbst in der Bankenkrise wurden schnell die Feindbilder umgebaut. Das neue Feindbild waren die griechischen Rentner, die angeblich zu viel Rente bekämen.

Wer trägt die Verantwortung für diesen Rechtsruck? Die AfD ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist ein Kind der Großen Koalition.  

Deshalb werden wir uns in Zukunft auch auf die Kritik an der Bundesregierung konzentrieren. Da haben wir viel zu tun. Nur ein Beispiel: Die FDP fordert die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Damit kann ich leben, wenn gleichzeitig eine Vermögenssteuer und eine höhere Erbschaftssteuer beschlossen werden. Doch die FDP will den Soli abschaffen, ohne die Vermögenden höher zu besteuern. Das wollen wir verhindern.

Es ist doch bemerkenswert, dass sogar der neoliberale Internationale Währungsfonds (IWF) die ungleiche Verteilung des Reichtums als Problem für das Wachstum bezeichnet. 1981 hätten die führenden Wirtschaftsnationen, so der IWF, die Topeinkommen im Durchschnitt mit eine Rate von 62 Prozent besteuert. Bis 2015 sei dieser Wert auf 35 Prozent gefallen.

Gerade in unserem Land ist das Vermögen besonders ungerecht verteilt. 10 % der Bevölkerung verfügen über 60% des Vermögens und 40% der Bevölkerung hat kein Vermögen oder Schulden.

Da müssen wir uns doch nicht wundern, wenn Menschen, die nichts haben, auf die Handys der Flüchtlinge schauen. Sie haben doch unter Schäuble immer wieder gehört, dass es nichts zu verteilen gibt. Dann sehen die Menschen, die nichts haben, dass Geld für Flüchtlinge da ist.

Ich habe im Bundestag immer darauf gedrungen, dass wir nicht ein Konjunkturprogramm für Flüchtlinge brauchen, sondern ein Konjunkturprogramm für alle. Wir brauchen Wohnungen, Kindergärten und Schulen für Menschen, die schon immer hier leben und wir brauchen sie für die Flüchtlinge. Doch davon wollte die Bundesregierung nichts wissen. So haben sie eine Neiddebatte unter denen entfacht, die nichts haben. Das ist die alte Teile-und-Herrsche-Strategie, die verhindert, dass wir über eine gerechte Verteilung in unserer Gesellschaft diskutieren und Vermögende stärker besteuern.

 

Der Einfluss unserer Partei geht in Ostdeutschland deutlich zurück. Es wäre jetzt falsch, sich von Ostdeutschland abzuwenden und die Wählerinnen und Wähler zu beschimpfen und uns auf die Suche nach neuen Wählergruppen zu machen. Wer unsere Partei auf eine kleine hippe, kreative und urbane Zielgruppe ausrichten will, der untergräbt die Existenzberechtigung unserer Partei. Auch in Berlin ist die LINKE nicht nur für die Menschen innerhalb des S-Bahn-Ring zuständig. Wir sind die linke Partei für die ganze Stadt!

 

Natürlich wollen wir Wählerinnen und Wähler, die früher DIE LINKE.  gewählt haben, zurückgewinnen.

Gauland sagte: „Wir wollen unser Land zurück!“ Das kommt auch bei Menschen an, die nicht rechtsextrem sind.

Simone Schmollack schrieb in der TAZ: „Heute, fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR, haben die Ostdeutschen ihr Land aber nicht wieder. Es ist nach wie vor in Wessihand.“

Warum redet keiner über die Eigentumsstrukturen in Ostdeutschland? Nur ein Beispiel: In Binz gehören: 46 % der Grundstücke Ostdeutschen und 52 % Westdeutschen und nur 2 % Ausländern. Könnt ihr euch ein solches Verhältnis in Sylt oder am Sternberger See vorstellen? Ich glaube nicht!

Warum redet der Mainstream nur von den verletzten Gefühlen der Ostdeutschen und nicht über die Enteignung der Ostdeutschen? Wir wissen warum.

Wir sind natürlich weiterhin eine Protestpartei: Wir protestieren gegen Sozialabbau und Kriege. Wenn wir es nicht tun würden, wäre der Sozialabbau noch größer und wir würden in noch mehr Kriegen verwickelt sein.

Die geteilte Gesellschaft

Viele Menschen fühlen sich nicht abgehängt, sie sind abgehängt. Im Wahlkampf sagte mir eine Frau, dass sie mit 14 Jahren angefangen hatte zu arbeiten. Nach 46 Jahren musste sie aus gesundheitlichen Gründen in Rente gehen.

Sie war 60 Jahre und muss jetzt mit einem Abschlag von 18% leben. Sie hat etwas mehr als 600 Euro im Monat. Das ist nicht gerecht. Die Teilung der Gesellschaft ist nicht nur ideell, sondern auch materiell.

Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, gegen diese Teilung zu kämpfen und die Menschen zu vertreten, die unter dieser Teilung leiden.

 

Schlussfolgerungen

Mein Wahlspruch war: „solidarisch geht es besser“. Das wird auch mein Motto für die nächsten vier Jahre sein.

Viele Menschen erwarten von unserer Partei, dass wir mit ihnen die Gesellschaft ändern. Es gibt gerade in Ostdeutschland eine tiefe Enttäuschung, dass auch DIE LINKE nicht in der Lage ist, die neoliberale Politik grundlegend zu ändern. Ich denke an die Rentenungerechtigkeit. Ein Rentner, der 1990 in Rente gegangen ist, muss 100 Jahre alt werden, um eine Westrente zu bekommen. Leider finden solche Tatsachen am Tag der Deutschen Einheit keine Erwähnung.

Die Politik der Bundesregierungen der vergangenen 27 Jahre hat zu einer Entsolidarisierung in der Gesellschaft geführt: Niedriglohnsektor, Abbau der Solidarsysteme. Der Egoismus ist auf dem Vormarsch. Die beste Medizin gegen Verunsicherung ist Solidarität. 

Wir brauchen auch neue Ideen für unseren Bezirk. Zum Neumitgliedertreffen kamen viele junge Menschen. Jetzt müssen wir uns gemeinsam überlegen, wie wir mit unseren Neumitgliedern unsere Parteiarbeit gestalten. Ich habe den Neumitgliedern die Mitarbeit in  Arbeitsgruppen vorgeschlagen. Wir brauchen wieder eine AG „Mieten“. Das Thema wird uns in den nächsten Jahren beschäftigen. In der Diskussion werden wir sicherlich noch ganz konkret über unsere zukünftige Arbeit sprechen.

Dankeschön

Wir hatten ja bereits zu einer Dankeschönveranstaltung in die Kultschule eingeladen. Ich möchte mich auch als Bezirksvorsitzende für die hohe Einsatzbereitschaft bedanken. Keine andere Partei war so auf  den Straßen Lichtenbergs zu sehen, wie wir.

Ich schlage vor, dass wir diesen Schwung nutzen und weiterhin auf den Straßen für die Menschen ansprechbar sind. Einmal im Monat, wenn unsere „info links“ erscheint, verteilen wir die Zeitung an den Lichtenberger Bahnhöfen. Da würde ich mich über weitere Unterstützer freuen, damit wir wirklich alle Bahnhöfe mit Verteilern besetzen können. Die Organisation hat Andrea Schacht in der Hand.

 

Wenn ich nach Wahlkampf gefragt werde, sage ich immer, ich mach keinen Wahlkampf, ich mach nur meine Arbeit. Und Arbeit haben wir immer genug.