Reden

Solidarische Gesundheitsversicherung einführen

Rede zum Haushalt 2017, hier Etat Gesundheit

 

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst zwei Zahlen gegenüberstellen. Die eine Zahl ist 36 Milliarden Euro, die andere Zahl ist 15 Milliarden Euro. 36 Milliarden Euro sind in diesem Haushalt für Rüstung und Verteidigung vorgesehen, nur 15 Milliarden Euro für Gesundheit. Ich finde, das ist ein eklatantes Missverhältnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Menschen wollen wissen, wie sich in den nächsten Jahren die Beiträge für die Krankenkassen entwickeln. Sie haben die Sorge, dass die Zusatzbeiträge steigen, und diese Sorge ist nicht berechtigt.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

- Ja, sie ist berechtigt; man kann über einen Versprecher natürlich lachen. - Ich kann es ja noch einmal wiederholen: Diese Sorge ist mehr als berechtigt. Ich kann es auch nicht leiden, wenn man den Menschen versucht zu erklären, sie würden sich ihre Ängste nur einbilden. Nein, diese Ängste sind ganz real.

Laut aktuellen Berechnungen kommen auf Durchschnittsverdiener Zusatzbeiträge von mehr als 50 Euro im Monat zu. Das wäre mehr als eine Verdoppelung innerhalb der nächsten vier Jahre. Das können wir doch nicht zulassen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Diesen Kostenanstieg können wir im Bundestag gemeinsam verhindern, wenn wir wieder zu einer paritätischen Finanzierung des Gesundheitssystems zurückkehren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, die Arbeitgeber sollen wieder genauso viel zahlen wie die Arbeitnehmer.

Wir hatten als Linke den Antrag gestellt, die Zusatzbeiträge abzuschaffen und die paritätische Finanzierung wiederherzustellen, aber leider haben Union und SPD das abgelehnt. Im Gegensatz zu dieser Ablehnung hat nun der Vorsitzende der SPD, Herr Gabriel, gefordert, die paritätische Finanzierung wieder einzuführen. Die Arbeitgeber haben das postwendend abgelehnt, und der Arbeitgeberpräsident wies auch noch darauf hin - ich darf zitieren -:

Die Entscheidung von Rot-Grün vor mehr als zehn Jahren, den Arbeitgeberbeitrag festzuschreiben, ist und bleibt richtig.

(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) - Hilde Mattheis (SPD): Das würde ich einmal recherchieren!)

Einerseits ist es natürlich wichtig, daran zu erinnern, wer die Verantwortung für die stärkere Belastung der Bürgerinnen und Bürger trägt. Aber wenn die SPD ihre Meinung nun wirklich geändert hat: Warum sollte sie dann unserem Antrag im Bundestag nicht zustimmen?

(Mechthild Rawert (SPD): Recherche!)

Ich denke, das sollten wir gemeinsam hinbekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gröhe - das ist heute in mehreren Medien nachzulesen - musste einen besonders großen Beitrag für die schwarze Null leisten. Die Finanzspritze aus dem Gesundheitsfonds soll natürlich die Beitragssteigerungen vor der Bundestagswahl verhindern. Umso größer werden dann die Überraschungen nach der Bundestagswahl sein, wenn die Zusatzbeiträge steigen. Ich kann Ihnen nur sagen: Machen Sie sich ehrlich, machen Sie endlich eine ehrliche Politik. Die Zusatzbeiträge müssen weg, und daran müssen wir alle arbeiten.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Gröhe, Sie müssen ja - das hat Ihnen der Finanzminister verordnet - 1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds an die Kassen geben, um die zusätzlichen Kosten zu finanzieren. Angeblich soll das notwendig sein, um die Gesundheitskosten für die Flüchtlinge zu decken. Das ist allerdings nicht richtig. Der AOK-Chef Martin Litsch hat Ihnen widersprochen, und zwar zu Recht. Er hat gesagt: Wir haben kein Flüchtlingsproblem, sondern wir haben ein Hartz-IV-Problem; denn der Bundeszuschuss, den die Krankenkassen für Hartz-IV-Empfänger erhalten, ist nicht kostendeckend. - Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Derzeit erhalten die Kassen 90,36 Euro pro Monat für einen Hartz-IV-Empfänger, doch der Bedarf für einen durchschnittlichen Versicherten beträgt 245 Euro monatlich.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns fragen, warum Menschen auf Arztbesuche, zum Beispiel auf dringend notwendige Zahnarztbesuche verzichten, dann wissen wir, wie die Zusatzkosten schon jetzt drücken. Das habe ich mir nicht ausgedacht, sondern das geht aus einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes zur amtlichen Haushaltsbefragung „Leben in Europa“ hervor. Es wurde herausgefunden, dass knapp die Hälfte derjenigen, die im Jahr 2014 auf einen Zahnarztbesuch verzichteten, dies aus finanziellen Gründen taten. Das kann doch in einem reichen Land wie dem unseren nicht die Wahrheit sein. Dagegen müssen wir uns verwahren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen endlich eine Gerechtigkeitsoffensive. Mit einer solidarischen Gesundheitsversicherung könnten wir nicht nur sämtliche Zusatzbeiträge abschaffen; die Krankenkassen könnten auch - und das ist ja das Gute an der Sache - ihre Beitragssätze um rund ein Drittel senken.

(Tino Sorge (CDU/CSU): Wer hat denn das ausgerechnet, Frau Kollegin? Die hätte ich aber wirklich gerne mal gesehen!)

- Ja, das können Sie nachlesen. Ich kann Ihnen die Studien dazu geben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Selbstgemacht!)

Statt bei derzeit durchschnittlich 15,7 Prozent könnte der Beitragssatz dauerhaft zwischen 10 und 11 Prozent liegen. Das wäre keine Zauberei, sondern einfache Mathematik; denn in eine solidarische Gesundheitsversicherung könnten wir auch höhere Einkommen einbeziehen, indem wir schrittweise die Beitragsbemessungsgrenze anheben und letztendlich abschaffen,

(Beifall bei der LINKEN)

und auch Kapitaleinkünfte und Gewinne - das ist wichtig - könnten mit einbezogen werden.

Herr Gröhe, ein letzter Satz zur Pflege. Sie sind ja auch Pflegeminister. Sie haben hier positiv über die Erfolge gesprochen. Ich hatte allerdings erwartet, dass Sie zu einer Meldung Stellung nehmen, die viele Menschen in den letzten zwei Tagen verunsichert hat: Es entfällt die Hilfe zur Pflege. Das heißt, die Menschen, die in Pflegeheimen wohnen und keine Pflegestufe haben, also Selbstzahler sind, wissen nicht, was jetzt aus ihnen wird. Die Teilnehmer einer Besuchergruppe von mir hat das umgetrieben. Sie haben gefragt: Was wird denn nun?

Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns bis zum Jahresende eine Regelung finden. Es kann nicht sein, dass Menschen in Pflegeheimen Angst haben müssen, dass sie das Pflegeheim verlassen müssen, weil dieser Passus aus dem Gesetz gestrichen wurde. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Das müssen wir unbedingt anpacken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Foto: pixelio.de, bernd kasper