Was ist Glück?
Rede zur Jugendweihe 2012
Liebe jungen Frauen, liebe jungen Männer,
heute ist ein aufregender Tag. Tausend Dinge gehen Euch gerade durch den Kopf: Sitzt meine Frisur richtig, ist mein Anzug nicht doch zu eng, werde ich stolperfrei auf die Bühne kommen, beachtet mich das Mädchen aus der Nachbarklasse, wird meine Oma „mein Kleiner“ oder „Moppelchen“ zu mir sagen, wenn neben mir gerade meine neue Freundin aus der Parallelklasse steht?
Es ist nicht wirklich wichtig. Diese Fragen werden Euch schon morgen nicht mehr beschäftigen.
Ich will mit Euch über eine andere Frage reden, die Euch ein Leben lang beschäftigen wird. Eine Frage, die häufig gestellt wird, die aber keiner wirklich allgemeingültig beantworten kann. Diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten.
Die Frage lautet: Was ist Glück?
Diese Frage stellt sich jeder Mensch in seinem Leben. Die Frage haben sich schon Generationen vor Euch gestellt und sie ist immer noch nicht erschöpfend beantwortet.
Eure Großeltern oder Ur-Großeltern waren schon glücklich, wenn es keine Bombenangriffe gab und sie etwas zu essen hatten. Sie sagten: Lieber ein Leben lang trocken Brot als Krieg. Die Abwesenheit von Krieg war für sie das größte Glück.
Das klingt alles nach alten Geschichten. Doch für viele Menschen ist Krieg immer noch bittere Realität. Für mich ist klar, Krieg und Gewalt können keine Mittel zur Lösung von Problemen sein. Das gilt in der Schule wie in der Weltpolitik.
Wenn Ihr ins Kino geht, Fernsehen schaut oder im Internet chattet, bekommt ihr auf die Frage nach dem Glück sehr verschiedene Antworten.
Ist es viel Geld?
Sind es schnelle Autos?
Eine schöne Freundin?
Ein starker Freund?
Ein großes Einfamilienhaus am Rande der Stadt?
Eine große Familie?
Ein Smartphone?
Für den einen ist es das größte Glück, bei Günter Jauch eine Million Euro zu gewinnen.
Für die andere würde ein Traum in Erfüllung gehen, wenn sie bei der Heidi-Klum-Show: "Germany’s Next Topmodel" dabei sein könnte.
Es gibt Wissenschaftler, die sich nur damit beschäftigen, was Glück ist.
Die dicke Bücher darüber geschrieben haben, aber die Frage auch nicht zufrieden stellend beantworten konnten.
Jeder von Euch weiß, dass Glück nicht von Dauer ist. Häufig dauert dieses Gefühl nicht länger als einen Augenaufschlag. Aber es ist die schönste Droge der Welt.
Dieses Gefühl kann keine Zigarette und kein Bier erzeugen.
Das sind alles nur Ersatzdrogen, die in der Regel auch noch einen schlechten Nachgeschmack haben.
Denkt an den letzten Geburtstag, an die Geschenke auf die ihr ein Jahr gewartet, von denen ihr vielleicht geträumt habt: Ein Fahrrad, Rollerblades oder ein Handy. All diese Geschenke haben bei euch vielleicht Glücksgefühle hervorgerufen, doch jetzt gehören sie euch, ihr seid dankbar, aber das Glück ist verflogen.
Später, wenn ihr euer eigenes Geld verdient, werdet ihr merken, dass man sich gern eine Freude macht und etwas kauft, was man eigentlich nicht braucht.
Glück stellt sich dabei selten ein.
Es sind nicht die materiellen Dinge, die uns glücklich machen. Glück kann man nicht kaufen.
Es gibt Menschen, die sind scheinbar glücklich, wenn sie Macht über andere Menschen haben, wenn sich Menschen vor ihnen fürchten.
Das sind traurige Gestalten, sie werden zwar gefürchtet, aber nicht geachtet und geliebt.
Was macht mich glücklich?
Ich will Euch von einem Buch erzählen.
Es ist in Großbritannien erschienen und heißt: „We are what we do“.
Das Buch wurde auch in die deutsche Sprache übersetzt.
Bei uns heißt es: “Einfach die Welt verändern – 50 kleine Ideen mit großer Wirkung“.
Das Buch könnte eine Revolution in den Köpfen der Menschen auslösen.
Ist es nicht so, dass viele Menschen resignieren und meinen, dass man die Welt nicht ändern könne, dass es nur den Mächtigen vorbehalten sei, die Welt zu ändern. Das stimmt nicht!
Auch die Mächtigen, die einmal gute Vorsätze hatten, haben oft auf dem langen Weg zur Macht ihre guten Vorsätze vergessen oder aufgegeben, um noch mehr Macht zu gewinnen oder sie nicht zu verlieren.
Also wartet nicht, bis ihr mächtig seid, sondern verändert einfach jetzt die Welt.
Übrigens: die Autoren des Buches haben in der Finanzwelt und der Werbeindustrie viel Geld verdient und erkannt, dass sie das nicht glücklich macht und haben dieses Buch geschrieben.
Ich möchte aus dem Vorwort vorlesen:
„Wir leben in merkwürdigen Zeiten. Es gibt mehr Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren, als je zuvor, und doch leben immer mehr Menschen allein… Die Reichen werden reicher, aber erschreckend viele Menschen leben auch bei uns unter der Armutsgrenze. Die meisten von uns haben das Gefühl, dass etwas Wichtiges in ihrem Leben fehlt.“
Hier eine Auswahl kleiner Ideen der Autoren:
Aktion 5: Für ein Lächeln brauchst du nur halb so viele Muskeln wie für ein Stirnrunzeln. Und außerdem macht es doppelt so viel Spaß – dir und den anderen.
Diese Aktion kann uns weiterhelfen.
Bitte nehmt die Aggression aus Euren Gesichtern und vor allem aus Eurer Sprache, wenn ihr am Montag wieder in die Schule geht. Ihr werdet sehen, Ihr fühlt euch besser.
Aktion 23: Studien zeigen, dass Kinder, die gemeinsam mit ihren Eltern essen, deutlich besser mit Angst und Stress umgehen.
Einer von vielen guten Gründen für einen kleinen Familienklatsch bei Tellergeklapper.
Natürlich sind Familien manchmal unangenehmer als ein Mückenstich am Knöchel.
Andererseits: Man kann auch mit niemandem besser lachen.“
Ich habe diese Aktion ausgewählt, weil ich sie für ganz wichtig halte.
Es ist ganz leicht mit seinen Freunden stundenlang zu quatschen, aber es ist manchmal schwerer, mit seinen Eltern und Großeltern im Gespräch zu kommen oder zu bleiben.
Mein Vorschlag: Nächsten Sonntag den Frühstückstisch decken und mal ausführlich mit der Familie ins Gespräch kommen. Zeigt Interesse am Leben Eurer Familie. Warum war deine Mutter letzte Woche sauer auf dich? Lage an dir oder hat sie vielleicht Probleme, die du nicht kennst.
Verschenkt Aufmerksamkeit an Eure Freunde und Bekannten und Ihr werdet Aufmerksamkeit geschenkt bekommen.
Nun wird der eine oder andere sagen, das ändert doch nicht die Welt.
Wenn ich das mache, werden trotzdem Kinder verhungern oder in sinnlosen Kriegen sterben.
Das stimmt. Aber als Erstes geht es darum, dass ihr bereit seid, euch zu ändern.
Wenn ihr es tut, werdet ihr stolz auf euch sein, vielleicht auch glücklich – und das ist ansteckend.
Andere Menschen werden es merken und eurem Beispiel vielleicht folgen.
Natürlich steht es Euch frei, eigene Ideen zu haben, wie die Welt geändert werden kann.
Fangt in der Schule damit an.
Fragt Eure Eltern, Großeltern, Nachbarn oder Mitschüler was sie glücklich macht?
Vielleicht seid Ihr ja die Glücksbringer, vielleicht müsst Ihr nur eine schlechte Gewohnheit abstellen, um ein glückliches Lächeln auf das Gesicht Eurer Mutter oder Eures Vater zu zaubern.
Wichtig ist nur, dass Ihr bei allem, was ihr macht zwei Grundregeln beachtet:
1. Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es im Grundgesetz unseres Landes. Dabei ist es egal, ob andere Menschen deine Auffassungen teilen, eine andere Hautfarbe haben, ob sie an den einen oder anderen Gott glauben oder einer Kultur angehören, die uns völlig fremd ist.
2. Der Zweck heiligt nie die Mittel. Selbst wenn Ihr etwas sehr Gutes wollt, wenn ihr einen Menschen oder die ganze Welt retten wollt, dürfen die Mittel, die Ihr anwendet, niemals der ersten Regel widersprechen; sie dürfen nicht die Würde von Menschen verletzen.
Wer diese beiden Regeln beachtet, hat die besten Voraussetzungen glücklich zu werden und das wünsche ich heute ganz besonders Euch, Euren Verwandten und Freunden.