"Sagen zu können, was man denkt, das ist wirklich Luxus"

Rede zur Jugendweihe 2013

Wenn man ins Kino kommt, erwartet man spannende, lustige oder traurige Filme, je nachdem, wie man sich selbst fühlt.
Vor den Augen Eurer Eltern, Großeltern und Verwandten läuft gerade ein Film ab. Es beginnt in der Regel mit Eurer Geburt, es folgen die ersten Laufversuche, die eine oder andere schlaflose Nacht an eurem Bett, die Einschulung, Urlaub an der Ostsee oder in den Bergen und nun die Jugendweihe.

Alle sind sich einig, dass die Zeit viel zu schnell vergangen ist und Ihr jetzt doch schon so groß und selbständig seid. Nun wollen alle wissen, wie der Film weitergeht. Wie wird das Kind die Schule schaffen? Wie lange darf meine Tochter am Sonnabend bei der Disko bleiben? Sollte mein Junge in Zukunft nicht mehr Sport machen und nicht tagelang Computer spielen?

Doch, liebe Mütter und Väter, ab heute passieren wirklich außergewöhnliche Dinge. Bisher haben Sie Regie in dem Film geführt. Ihre Kinder waren entzückende Darsteller.  Doch in Zukunft werden ihre Kinder - ob Sie wollen oder nicht - Ihnen den Regiestuhl streitig machen. Sie werden immer mehr zu Regieassistenten und ich denke, das ist auch gut so.

Regie in einem Film zu führen, diesen Wunsch hat vielleicht schon jeder von Euch gehabt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Ihr Regisseur und Hauptdarsteller in Eurem eigenen, einzigartigen Stück seid.

Ihr werdet nicht von einem Regisseur an irgendeinen Platz gestellt, wo Ihr einen auswendig gelernten Text aufsagen müsst. Ihr müsst Euren Platz selber finden und euren Text selber schreiben.

Ich kann Euch sagen, dass viele Menschen es nie gelernt haben, selbst Regie zu führen. Es ist auch eine wahre Kunst, es ist Lebenskunst.
Wo ist mein Platz in der Familie, in der Schule, in meinem Freundeskreis? Die Standorte werden in den nächsten Jahren neu bestimmt. In der Familie wollt Ihr mehr mitbestimmen, in der Schule glaubt Ihr nicht immer alles, was Euch die Lehrer erzählen, Ihr sucht die Auseinandersetzung und im Freundeskreis steht die Frage: Ist man der Leithammel oder eher der Außenseiter?

Heute sind alle Scheinwerfer auf Euch gerichtet; Ihr steht im Mittelpunkt. Heute gibt es Geschenke oder vielleicht die Ankündigung einer Taschengelderhöhung.

Doch wenn die Scheinwerfer ausgeschaltet sind, beginnt die Suche nach dem Platz in dieser Gesellschaft und in diesem Land. Einige werden versuchen, möglichst schnell wieder ins Scheinwerferlicht zu kommen, werden vielleicht sogar Superstars.

Doch die meisten von Euch werden nicht im grellen Licht stehen, sondern unter relativ normalen Lichtverhältnissen Ihren Platz suchen und finden. Das muss nicht unbedingt schlecht sein.


Zu einem guten Film gehört eine gute Ausstattung. Eure Mütter und Väter sind begeistert von Eurer tollen Garderobe. Die Jungs haben zum ersten Mal einen Anzug an und die Mädchen könnten eigentlich auch auf einer Pariser Modenschau auftreten.

Es ist ein bisschen Luxus in der Luft. Der berühmte italienische Modeschöpfer Armani wurde von einem Journalisten gefragt, was Luxus sei. Die Antwort war für mich erstaunlich, Armani sagte: "Sagen zu können, was man denkt. Das ist wirklich Luxus."

Diesen Luxus wünsche ich Euch auch. Doch was bedeutet das?Ja, ein Modeschöpfer hat es schwer – werdet Ihr denken.

Er müsste einer steinreichen Frau sagen, dass ihr das 5000-Dollar-Kleid eigentlich nicht steht, sie zu klein, zu dick oder zu dünn ist.

Doch das ist sein Problem.

Ihr werdet für Euch Luxus selbst definieren. Führt auch hier Regie. Die Werbung wird Euch immer verkünden, dass der wahre Luxus in tollen Klamotten, Smartphones und schnellen Autos besteht.

Doch Ihr wißt aus eigener Erfahrung: Filme, in denen nur schicke Menschen in Markenklamotten schnelle Autos fahren, können doch sehr ermüdend sein.

Ihr solltet bei Eurem Film auf anderen Luxus setzten:

Nehmt Euch den Luxus und geht mal wieder mit Euren Eltern ins Kino, fahrt mit Euren Freunden zelten, nehmt Euch Zeit für Euch selbst, gestaltet Euren eigenen Film und lasst nichts einfach laufen, wie Ihr das vielleicht aus dem ersten Teil eures Films kennt: Papa oder Opa halten stundenlang die Videokamera beim Auspacken der Weihnachtsgeschenke auf Euch. Diese Zeit ist hoffentlich vorbei. Ihr nehmt die Kamera selbst in die Hand.

Ihr spielt die Hauptrolle in Eurem eigenen Film. Die Geschichte müsst Ihr natürlich selbst entwerfen. Ich gehe davon aus, dass Ihr Euch vorher auch noch ein paar alte Filme anschaut und mit dem einen oder anderen Regisseur das Gespräch sucht. Vielleicht müsst Ihr wirklich nicht alle Szenen neu erfinden, ab und zu könnt Ihr ruhig eine Szene aus dem Film Eurer Mutter oder Eures Großvaters klauen, vorausgesetzt, sie sind bereit, die besten Szenen ihres Stückes preiszugeben.

Egal wie der Film wird, ob lustig, traurig, albern, witzig, eine Klamotte, ein Krimi oder ein Melodrama, ein Prinzip solltet ihr für Euch festlegen, es sollte würdevoll sein. So würdevoll wie diese Jugendweihefeier.

Ich glaube der Satz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar", ist der beste in unserem Grundgesetz. Achtet also darauf, dass ihr würdevoll lebt und dass Eure Mitmenschen in Würde leben können. Nichts ist erbärmlicher als andere Menschen würdelos zu behandeln, das gilt für das Verhalten der Völker untereinander genauso wie unter Freunden und Feinden.

Krieg ist die würdeloseste Form der Auseinandersetzung. Krieg darf nicht länger Mittel der Politik sein. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Am 8. Mai,  begingen wir den 68. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus. Viele Menschen opferten ihr Leben. Wir sollten uns in Dankbarkeit an diese Menschen erinnern. Ohne ihr Opfer hätten wir heute nicht die Freiheit, so zu leben, wie wir leben.

Daran möchte ich erinnern, da es einige Politiker gibt, die so tun als ob der Wohlstand in unserer Gesellschaft allein dem eigenem Fleiß geschuldet wäre. Nein, wir haben unsere Freiheit und unseren Wohlstand auch vielen Russen, Griechen, Polen, Italienern, Franzosen und Amerikanern zu verdanken, die damals den Faschismus besiegten. Europa hat nur eine Zukunft als Gemeinschaft solidarischer Menschen. Keiner sollte sich über den anderen Erheben. Das möchte ich euch zum Abschluss auf den Weg geben.

Dazu passt ein Zitat von Andrè Gide:

Das Geheimnis des Glücks liegt nicht im Besitz, sondern im Geben. Wer andere glücklich macht, wird glücklich.

Ich wünsche euch ganz persönlich viel Freude, Spannung und Erfolg als Regisseur eures ganz eigenen Films. Denkt immer daran, dass eure Kinder euch nach eurem ganz persönlichen Film fragen werden.

Ich hoffe, Ihr werdet ein Leben in Frieden und Würde führen, darauf könnt Ihr vielleicht am Nachmittag auch ein Glas Sekt trinken.

 

 

Herzlichen Glückwunsch zur Jugendweihe!