Die Seele der Kanzlerin

Gehaltene Rede auf der Ostdeutschland-Anhörung am 10.6.2013

 

Seit dem 10. April 2000 ist Angela Merkel Bundesvorsitzende der CDU und seit dem 22. November 2005 deutsche Bundeskanzlerin. Sie ist weltweit die bekannteste Ostdeutsche - wahrscheinlich noch bekannter als Martin Luther oder Siegmund Jähn.

Im Jahr 2012 belegte sie den zweiten Rang in der Liste der weltweit mächtigsten Personen des Forbes Magazine. Es ist der höchste Rang, den jemals eine Frau in dieser Liste erreicht hat.Wenn man bei Google „Kanzlerin Merkel“ eingibt, bekommt man 55.400.000 Ergebnisse in 0,20 Sekunden.

Doch wir wissen trotzdem nichts über das Seelenleben der Kanzlerin.

Warum denke ich überhaupt über die Kanzlerinnen-Seele nach?  Ist sie nicht sowieso schon verloren? Wenn ich nicht wüsste, dass sie Christin ist, hätte ich es in Anbetracht ihrer Politik nicht vermutet.

Es gibt das erstaunliche Phänomen, dass die Kanzlerin die beliebteste Politikerin in Deutschland ist und gleichzeitig die Leistungen ihrer Bundesregierung in der Öffentlichkeit sehr kritisch gesehen werden, besonders jetzt – Stichwort Drohne.

Offensichtlich gibt es eine Seelenverwandtschaft zwischen Angela Merkel und den meisten Ostdeutschen.

Sie hat dem politischen Personal der alten Bundesrepublik die kalte Schulter gezeigt. Sie hat reihenweise Parteifreunde aus den westdeutschen Bundesländern in die Wüste oder nach Brüssel geschickt: Herrn Merz, Herrn Röttgen, Herrn Stoiber, Herrn Oettinger usw. Ich habe mir nicht alle Namen gemerkt.

Auf jeden Fall gab es wenig Mitleid für diese Herren und viel Respekt für die „blutrünstige“ Kanzlerin.

In der CDU wird sie gern die Mutti genannt. Das klang am Anfang ihrer Karriere abfällig und herabwürdigend. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als Angela Merkel noch nicht Kanzlerin, sondern Oppositionsführerin war. Ohne großes Nachfragen wurden unter höhnischem Lachen Geschichten aus der Fraktionssitzung der Union erzählt. „Stellen Sie sich vor, Frau Lötzsch, sie hat WERKTÄTIGE gesagt, WERKTÄTIGE!“ Heute lacht keiner mehr. Jetzt fürchtet die ganze CDU die Mutti.

Ihre schneidige Personalpolitik erzeugt ein falsches Bild. Wenn es um Sachpolitik geht, wirkt sie auf mich eher unentschlossen und zögerlich.

Ich kann mich an keine Kanzlerinnen-Reform erinnern, die wirklich ihre Kanzlerschaft charakterisieren könnte. Sie hat den Ruf der harten Reformerin außerhalb Deutschlands erworben, nicht in unserem Land.

Dort, wo sie nicht die Wählerinnen und Wähler fürchten muss, kehrt sie mit eisernem Besen, ohne Rücksicht auf Verluste. Selbst der IWF hat jetzt festgestellt, dass die Griechenland-Politik der Kanzlerin ein Desaster war und ist.

In Griechenland herrscht eine dramatischen wirtschaftliche Situation.  Die Jugend hat keine Perspektive. Das Land wird kaputt gespart.

 

Auch das Brechen von Wahlversprechen kann Kanzlerin Merkel  bisher nichts anhaben.

Das Kanzlerinnen-Versprechen, die Spareinlagen  seiensicher , ist schon längst gebrochen. Die niedrigen Zinsen und die Inflation lassen die Spareinlagen dahin schmelzen. 

Die Verantwortlichen der Finanzkrise wollte sie zur Rechenschaft ziehen, auch das ist nicht passiert.

Die Kanzlerin hatte bei der letzten Wahl den ostdeutschen Rentnerinnen und Rentnern die Angleichung der Ost- an die Westrenten versprochen. Sie hat ihr Versprochen gebrochen.

 

Doch all die gebrochenen Versprechen drücken keineswegs ihre Popularitätswerte. Das ist wirklich erstaunlich.

 

Vielleicht liegt es auch an ihrer DDR-Biographie. Es wird immer gern behauptet, dass ihre Biographie typisch für die DDR gewesen sei: Pionier, FDJ-Mitglied (Sekretär für Agitation und Propaganda oder für Kultur – sie weiß es nicht mehr so genau ), Abitur, Studium, Akademie der Wissenschaften (Betriebsgewerkschaftsleitung), Promotion.

Die  kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der letzten Volkszählung sagen uns, dass in der Bundesrepublik nur 15 Prozent der Menschen eine abgeschlossene Hochschulausbildung haben. Die Fachhochschulen sind in diesen 15 Prozent bereits enthalten.

Das war also keine typische Biographie. Wir wissen, dass es in der DDR viel schwerer war,  ein Abitur abzulegen als es heute der Fall ist.

Viele Ostdeutsche erfreut es schon, wenn die Kanzlerin sich nicht negativ zur DDR äußert. Im Gegenteil: Sie schaut sich medienwirksam ihren Lieblingsfilm „Paul und Paula“ an und weicht grundsätzlichen Auseinandersetzung zum Thema DDR aus. Sie hat sich nie mit einer bestimmten Gruppe von Ostdeutschen solidarisch erklärt. Sie hat sich nie der Abwicklungen von Betrieben, Universitäten oder der Akademie der Wissenschaft entgegengestellt. Kein Wort des Bedauerns habe ich von ihr dazu je gehört.

Wäre es nicht an der Zeit, dass die Kanzlerin einen kritischen Rückblick auf die Arbeit der Treuhand wirft? Das ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil, die Kanzlerin wurde in der Zeit der Abwicklung politisch geprägt. Ihre Europapolitik erinnert an die Politik von Birgit Breuel, der ehemaligen Treuhand-Chefin. Was sich nicht rechnet,  wird geschlossen oder verkauft. Der Markt wird es schon richten. Diese naive Marktgläubigkeit ist schon haarsträubend.

 

Die Kanzlerin als die mächtigste Frau der Welt legt sich nie mit den wirklich Mächtigen an.

Da,  wo Abstand geboten wäre, sucht sie Nähe. In der Öffentlichkeit  wirkt sie doch eher distanziert.

Ich hatte die Einladung des Deutschen Bank-Chefs Ackermann in das Kanzleramt in die elektronischen Medien gebracht. Ackermann feierte im Kanzleramt seinen 60. Geburtstag und durfte seine Kumpels mitbringen. Das war eine eklatante Grenzüberschreitung. Das kam gar nicht gut an. Doch Tatsache ist, dass Ackermann das Rettungspaket für die Banken geschnürt und dabei seine eigene Bank nicht vergessen hatte. Die Kanzlerin konnte daran nichts Schlimmes finden.

 

Wenn Besuchergruppen in den Bundestag kommen, werde ich manchmal gefragt, warum die Parteien so viel streiten und nicht gemeinsam an einem Strang ziehen. Ich antworte dann immer, dass jede Partei unterschiedliche Interessen vertritt. Wir als LINKE vertreten die Interessen der Arbeitnehmer, der Rentner, der Studenten, der kleinen und mittleren Selbstständigen, der Arbeitslosen.

 Die Kanzlerin vermittelt gern den Eindruck, dass es diese unterschiedlichen Interessen nicht gibt. Als Physikerin analysiert sie die Probleme und sucht dann nach der besten Lösung. Doch es gibt nie die beste Lösung für alle. Die Rettung der Banken war eine Lösung für die Banken, nicht für den selbständigen Gemüsehändler.

Mir sagte kürzlich ein Bürger, dass er die Kanzlerin nicht wirklich toll fände, aber keine Alternative sehen könne.

Die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte kann man unter- und überschätzen. Ich glaube die Rolle der Kanzlerin wird überschätzt. Sie hat sich mächtige Verbündete, wie Herrn Josef Ackermann und Hilde Springer gesucht und gefunden. Solange sie diesen Leuten nicht in die Quere kommt, darf sie auch gern als die mächtigste Frau der Welt erscheinen.

Letztendlich könnte mir die Seelenlage der Kanzlerin ziemlich egal sein.. Ich sehe aber, dass viele Menschen, die unter der Politik der Kanzlerin Schaden genommen haben, ihre Seelenverwandtschaft  mit der Kanzlerin nicht beenden wollen. Das treibt mich um. Vielleicht können wir heute gemeinsam diese Widersprüchlichkeit erklären.

Ich gehe davon aus, dass Frau Merkel zusammen mit der SPD nach der Bundestagswahl in eine Koalition gehen wird.

Ostdeutsch zu sein reicht nicht für eine gute Politik.

Dafür stehen wir, steht die LINKE. wir wollen die ganze Gesellschaft verbessern, nicht nur den Osten.